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Gesundes Grün auf 15 Etagen

Publiziert: 04. Juni 2023

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Aktuell bevölkern rund acht Milliarden Menschen unsere Erde. Um sie alle ernähren zu können, muss die vorhandene Kulturfläche immer effizienter bewirtschaftet werden. Mark Zahran, eigentlich Architekt, hat sich mit dem Thema Ernährung bereits während des Studiums intensiv beschäftigt. Das Ergebnis war die Gründung von YASAI, ein Spin-off der ETH Zürich, das basierend auf dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft Vertical Farming betreibt. Eine Idee, die bei HIAG auf offene Ohren stiess.

Wer in Niederhasli aus dem Zug steigt und sich in Richtung Norden umschaut, sieht erst einmal nicht viel. Ein Gewerbegebiet mit mehreren Hallen, Bürogebäude, Parkplätze. Nichts Aussergewöhnliches also. Was hier in einer der schmucklosen Hallen entsteht, könnte jedoch dereinst unsere Art, wie wir Lebensmittel erzeugen, revolutionieren. Der Blick durch eines der Fenster offenbart – überraschenderweise – einen Blick ins Grüne. Das macht neugierig auf mehr. Mark Zahran ist CEO und Mitgründer des ETH-Spin-offs YASAI. Der Name kommt aus dem Japanischen und bedeutet «Gemüse». Zusammen mit Philipp Bosshard (CTO) und Stefano Augstburger (CCO) verfolgt der Architekt die Vision, eine Lösung für das immer drängender werdende Ernährungsproblem zu finden. Ihre Lösung heisst Vertical Farming. «Beim Vertical Farming kann man bis zu 200 Mal mehr Kräuter und Blattgemüse pro Quadratmeter Land kultivieren als im herkömmlichen Feldanbau», erzählt Mark. «Ausserdem braucht diese Art des Anbaus 95 Prozent weniger Frischwasser und kommt komplett ohne chemische Pestizide aus.» Wie das funktioniert, lässt sich in der Halle begutachten.

Anbau nicht horizontal, sondern vertikal
Die Pflanzenbeete sind – wie in einem Hochregallager – auf bis zu 15 Etagen jeweils auf Tischen vertikal angeordnet. Die Pflanzen sind dabei nicht in Erde eingepflanzt, sondern schwimmen in Wasser, das mit einer Nährstofflösung angereichert ist. Das zum Wachstum nötige Licht liefert ein LED-Beleuchtungssystem. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Die Pflanzen können rund um die Uhr beleuchtet werden und wachsen auch dementsprechend schnell. Und anders als in der Natur, wo Klima und Wetter den Anbau nur in bestimmten Phasen zulassen, kann hier 365 Tage im Jahr produziert werden. Die Anlage ist zudem automatisiert: Die Tische, deren Pflanzen reif zur Ernte sind, werden auf einem Förderband zur nächsten Station transportiert. Dort ernten und verpacken die YASAI-Mitarbeitenden die diversen Kräuter, aktuell Pfefferminze, Basilikum, Dill und Koriander. Das Schlittensystem ist nicht nur praktisch, sondern für YASAI auch in ökonomischer Hinsicht wichtig. «Die Schweiz ist nun mal ein Hochpreisland», sagt Mark Zahran. «Wenn wir mit Produkten aus anderen Ländern konkurrieren wollen, ist diese Automatisierung ein Schlüsselfaktor.»

Eine beeindruckende Lösung für eine aktuelle Herausforderung. Doch klar ist auch, dass die Anforderungen an den Produktionsstandort sehr komplex sind. Und der Ausbau ist entsprechend kostenintensiv. Das Startkapital kam aus verschiedenen Quellen, wie Mark erzählt: «Natürlich haben wir typisches Venture Capital Funding betrieben, haben aber auch eine Crowdfunding-Kampagne erfolgreich abgeschlossen und zudem auch Darlehen erhalten.» Diese Herausforderung konnten die Jungunternehmer also gut meistern. Doch die Finanzierung ist nur ein Teil für die erfolgreiche Lancierung eines Start-ups – einen geeigneten Ort zu finden, ist eine ebenso grosse Herausforderung.

«Beim Vertical Farming kann man bis zu 200 Mal mehr Kräuter und Blattgemüse pro Quadratmeter kultivieren als im herkömmlichen Feldanbau.» Mark Zahran, CEO YASAI

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Was braucht ein YASAI-Standort?
«Wir haben einige Anläufe an verschiedenen Orten genommen. Wir wussten ja zu Beginn nicht einmal, welcher Zone wir überhaupt zugeordnet werden können», sagt Mark Zahran. «Sind wir ein Landwirtschaftsbetrieb? Wenn nicht, was ist YASAI dann? Und welche Vorschriften ergeben sich daraus?» Diese Fragen sind symptomatisch für die Herausforderungen, vor denen viele junge Gründer stehen. Sie kennen ihre Technologie und ihr Business – doch die administrativen Hürden, die beim Aufbau eines Unternehmens entstehen, werden ihnen erst nach und nach klar. Alex Römer, Arealentwickler bei der HIAG, kennt diese Herausforderungen. «Wir erleben oft, dass Firmen nicht genau wissen, was sie eigentlich brauchen. Dann versuchen wir, die Ideen und Bedürfnisse der Mietinteressenten genau zu verstehen und sie mit unserer Erfahrung zu unterstützen, und helfen, eine optimale Lösung zu finden.»
Das Gründerteam von YASAI wusste zwar, wie seine Halle ausschauen sollte – doch auf dem Weg dorthin war das Know-how der erfahrenen Arealentwickler unab- dingbar. Doch von vorn: Mark Zahran und seine Mitgründer mussten ihren möglichen zukünftigen Standort nach unterschiedlichen Kriterien bewerten. «Als Erstes haben wir ein Gewächshaus angeschaut, wo wir dann unsere Regale und alles Weitere eingebaut hätten. Doch wir haben schnell festgestellt, dass solche Gewächshäuser für unser System nicht hoch genug sind.» Die logische Schlussfolgerung war die Suche nach einer Industriehalle. Im Grossraum Zürich fanden sie schliesslich ein geeignetes Objekt. Doch das Vorhaben scheiterte, weil die Behörden ihre Zustimmung verweigerten. «Das war für uns ein ziemlich herber Rückschlag, denn wir standen in den Startlöchern, hatten aber keinen Ort, an dem wir loslegen konnten.»
 
Unerwartetes Glück bei der Suche 
Die Wende brachte schliesslich ein Objekt, auf das Philipp Bosshard online gestossen war. «Ich habe zu dieser Zeit zig solcher Fabrikhallen angeschaut und vor allem auch online gesucht», erzählt der Umweltingenieur. «Es gibt zwar relativ viele Gewerbehallen, doch die meisten sind kaum höher als einige Meter.» Doch dann sah er das Angebot der HIAG in Niederhasli. Der Haken daran war, dass es nur zur Zwischennutzung für maximal zwei Jahre ausgeschrieben war. Bosshard sagte also schweren Herzens ab. Eine Woche später passierte dann aber etwas Unerwartetes: Der zuständige Arealentwickler meldete sich bei den Jungunternehmern und fragte nach, welche Mietdauer sich YASAI denn vorstellen würde. «Wir haben dann gesagt, dass wir mindestens fünf Jahre bräuchten.» HIAG, Eigentümerin und Entwicklerin des Areals in Niederhasli, liess sich darauf ein. Ein Glücksfall für das Start-up, denn die Halle hat alles, was es braucht. Sie ist hoch genug, verfügt über eine grosse Traglast und war bereits mit leistungsfähigen Stromanschlüssen ausgestattet. «Sogar das Büro war schon da», erzählen die YASAI-Gründer. Hinzu kam noch die Lage. Direkt gegenüber dem Bahnhof Niederhasli gelegen, ermöglicht es kurze Wege für die zumeist jungen, im urbanen Umfeld lebenden Mitarbeitenden.

Wenn die Entwicklung wie erwartet läuft, wird YASAI im Jahr 2027 den Break-even erreichen. Die Aussichten sind schon heute gut. YASAI beliefert aktuell rund 120 Coop-Filialen mit eigenen Kräutern, die Kräuter sind zudem auch bei Jelmoli und Farmy.ch erhältlich. Doch das bringt sie noch lange nicht an ihre Grenzen. «Wir hatten sogar mit mehr gerechnet und mussten dann unsere Berechnungen wieder anpassen. Doch so konnten wir wertvolle Erfahrungswerte sammeln. Wir lernen jeden Tag dazu, das ist superspannend.» Diese Erfahrungen fliessen in die weitere Planung mit ein. «Wir sind jetzt auch schon daran, neue, grössere Vertical Farms zu planen.» 2026 wird YASAI die erste vertikale Farm der Schweiz betreiben, die in ein Wohnquartier integriert ist. Doch dies ist erst der Anfang einer grossen Idee, von der man hoffentlich noch viel hören wird.

Zusammenarbeit mit Zukunftsperspektive
Der aktuelle Mietvertrag in Niederhasli läuft bis zum Sommer 2026. Für YASAI ein guter Zeitpunkt, um den nächsten Schritt in der Unternehmensentwicklung zu gehen, sagt Mark Zahran. «Für uns ist Niederhasli die Pilotanlage. Dementsprechend war von Anfang an klar, dass wir mit den bis dahin gemachten Erfahrungen in grössere Locations ziehen müssen. Denn unsere Art und Weise des Vertical Farmings macht vor allem Sinn, wenn man es im grossen Stil betreibt.» Die Planung für diese grösseren Standorte läuft bereits. Die Frage, ob er sich eine weitere Zusammenarbeit mit HIAG vorstellen könne, bejaht der Co-Gründer klar. «Auf jeden Fall! Wir haben tatsächlich auch schon darüber gesprochen, welche Möglichkeiten es gäbe und wo wir für nächste Projekte in das Portfolio und die Timeline von HIAG passen könnten.» Alex Römer bestätigt diese Pläne: «Für uns ist es natürlich auch sehr spannend, mit innovativen Unternehmen zusammenzuarbeiten, die ehrgeizige Expansionsziele haben. HIAG hat 45 Areale in der Schweiz im Portfolio und verfügt über viele Möglichkeiten, gemeinsam über neue Projekte nachdenken zu können.»

3 Fragen an Alex Römer, Arealentwickler bei HIAG und federführend für die Ansiedlung von YASAI verantwortlich


Ursprünglich suchte HIAG für die Halle eine Zwischennutzung während zweier Jahre. Wie kam es dann, dass daraus ein Mietvertrag über fünf Jahre wurde?
Bei der Arealentwicklung bewegen wir uns in sehr langfristigen Prozessen, und auch fünf Jahre sind für uns noch eine Zwischennutzung. Niederhasli ist ein Industrieareal direkt am Bahnhof, also in begehrter Lage. Es ist klar, dass die Gemeinde eine Zentrumsentwicklung anstrebt – und das ist der Schritt, den wir vorbereiten. Wir haben eine gewisse Zeit, in der man die Halle nutzen kann, bis der nächste Entwicklungsschritt dann bereit ist. In diesem Fall hat das mit den Bedürfnissen von YASAI gematcht.

Vertical Farming ist eine junge, innovative Technologie. War HIAG von Anfang an klar, welche Anforderungen YASAI an die Räumlichkeiten oder an das Gelände hat?
Wir beschäftigen uns immer wieder mit spannenden, innovativen Konzepten, die Industrie- und Gewerbehallen füllen können, denn davon haben wir ja relativ viele in unserem Portfolio. Vertical Farming wird immer präsenter, und das finden auch wir als Arealbetreiber spannend – zumal unser Anspruch an uns selbst ist, im Bereich Nachhaltigkeit zu den Vorreitern der Branche zu zählen. Wir möchten mit unseren Aktivitäten positive ökologische, ökonomische und gesellschaftliche Effekte erzielen. Im Fall von YASAI kannten wir die Anforderungen zwar nicht im Detail, doch wir haben uns vieles gemeinsam erarbeitet.

Wie werden solche Hallen konzipiert?
Wenn wir eine Halle bauen, dann achten wir darauf, dass sie für den kommenden Nutzer, in diesem Fall YASAI, funktionieren kann. Sie muss aber auch darüber hinaus für andere Nutzer funktionieren. Denn eine solche Halle hält 50 bis 100 Jahre, wir müssen also den nächsten Zyklus auch immer schon im Hinterkopf haben. Diese Multifunktionalität bedeutet für uns ganz praktisch auch funktionierende Nachhaltigkeit.